Institut für Musikwissenschaft
print


Navigationspfad


Inhaltsbereich

Kammerfassung des 4. Klavierkonzerts op. 58

Kurzeinführung:

Bei der kammermusikalischen Bearbeitung des vierten Klavierkonzerts für Klavier, zwei Violinen, zwei Violen und Violoncello durch Beethoven selbst handelt es sich wohl um eines der letzten Geheimnisse des Komponisten. Lange konnte die rätselhafte Partiturkopie mit Eintragungen und Änderungen im Solopart, die Beethoven selbst aufbewahrte, nicht eingeordnet werden. 
Heute weiß man: Beethoven bearbeitete den Klaviersatz selbst und beauftragte den befreundeten Wiener Arrangeur und Komponisten Franz Alexander Pössinger mit der kammermusikalischen Bearbeitung des Streichersatzes, in dem sich wiederum abschließende Korrekturen Beethovens finden. Das Ergebnis ist eine musikalische Bearbeitung, die nicht nur das Originalkonzert in einer kleineren Besetzung bietet, sondern als eigenständige Komposition gelten kann.
Freier in der gesamten musikalischen Sprache, noch virtuoser und filigraner in der Figuration des Klaviers konzentriert sich die kammermusikalische Fassung auf den intimen Kern des Klavierkonzerts. Die Bearbeitung, die auf den Wunsch des Beethoven Gönners Fürst Lobkowitz entstanden ist, spielte Beethoven bei ihrer einzig bekannten historischen Aufführung 1807 wohl selbst am Flügel. Die Umarbeitung des Klaviersatzes schnitt Beethoven auf seine eigenen virtuosen Fähigkeiten zu, anders ist der gesteigerte Anspruch an den Solisten nicht zu erklären.
Zwischen Klavierkonzert und Kammermusik, zwischen Bearbeitung und Eigenständigkeit, auf der Rückseite beethovenscher Heroik, bewegt sich das wohl letzte Geheimnis Beethovens.

Alexander Friedrich*

 

Aus dem Programmheft:

Ein Werk, das bis heute Rätsel aufwirft – so könnte man die authentische Kammerfassung von Beethovens viertem Klavierkonzert für Klavier und Streichquintett op. 58 wohl am treffendsten beschreiben. Besonders die
Quellenlage dieses vierten Klavierkonzerts ist problematisch, da keine vollständige Partitur aus Beethovens Hand erhalten ist, sondern einzig eine Partiturkopie aus dem Jahre 1806, in der sich einige Eintragungen von
Beethoven finden. Nachdem lange Zeit unklar war, ob die Kammerfassung überhaupt von Beethoven stammt, geht man heute davon aus, dass Beethoven den Solopart des Klaviers änderte, die Überarbeitung der Orchesterbegleitung aber dem Wiener Arrangeur Alexander Pössinger überließ, der bereits andere Werke Beethovens arrangiert hatte.

Die Kammerfassung entstand kurze Zeit nach der Uraufführung der originalen Konzertfassung im Spätfrühling 1807 im Rahmen einer Auftragsarbeit für Franz Joseph Fürst Lobkowitz, einem bekennenden Liebhaber der Werke Beethovens. Dessen Vorliebe für Streichquintette und der Aspekt, dass durch eine Reduzierung der Besetzung kostspielige und komplizierte Aufführungen vermieden werden konnten, bewegten ihn dazu, Beethoven mit einer Kammerfassung zu beauftragen. Vor allem aber scheint die Kammermusikfassung Fürst Lobkowitz, der selbst das Spiel mit Violine und Violoncello beherrschte, die Möglichkeit gegeben zu haben, mit
Beethoven zusammen zu musizieren, der wahrscheinlich den Solopart am Flügel übernommen hatte. Dies würde zumindest auch erklären, warum der Solopart in den beiden Ecksätzen deutlich virtuoser ist, als die ohnehin schon anspruchsvolle Konzertfassung. Konnte Beethoven den zweiten Satz unverändert übernehmen, da der Pianist in diesem Satz auch in der Konzertfassung nur von einem Streichersatz begleitet wird, finden sich die gravierendsten Änderungen in den beiden Ecksätzen: Mit filigraneren Figurationen und der vermehrten Verwendung von Trillern, Diminutionen oder mit der Ergänzung von Oktavsprüngen mit Doppeltrillern fordert Beethoven den Solisten in der Kammerfassung. Gleichzeitig passt er damit den Solopart den neuen kammermusikalischen Begebenheiten an, die ein feineres, detaillierteres Spiel erlauben, ohne aber das dialogisierende, aufeinander reagierende Wechselspiel zwischen Orchester und Solist zu vernachlässigen. Obwohl die Kammerfassung aus der ursprünglichen Konzertfassung heraus entstand, darf sie keinesfalls als bloße Umbesetzung oder Miniaturisierung der Vorlage verstanden werden. Vielmehr ist die Kammerfassung ein eigenständiges Werk, das eine Brücke zwischen den Gattungen Klavierkonzert und Kammermusik zu schlagen vermag.

Hannah Knarr*

 

* Die Texte entstanden im Rahmen der Übung Schreibwerkstatt unter der
Leitung von Dr. Stefanie Strigl am Institut für Musikwissenschaft.