Institut für Musikwissenschaft
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Hammerflügel

Der Hammerflügel des Instituts für Musikwissenschaft, auf dem Tobias Koch
heute Abend spielt, gehört zu einem Instrumententypus, von dem es weltweit
nur noch wenige Exemplare gibt, meist in Museen. Kaum eines davon ist noch
spielfähig und kann für Konzerte genutzt werden. Es handelt sich um einen
sechs Oktaven umfassenden, durchweg dreichörig besaiteten Hammerflügel
der Wiener Firma „Nanette Streicher geb. Stein und Sohn“ aus dem Jahr 1825
(Nr. 1977), mit der von eben dieser Firma 1823 entwickelten und patentierten
„oberschlägigen“ Mechanik. Dies heißt, dass die Hämmer von oben, unterstützt
durch die Schwerkraft, auf die Saiten prallen statt von unten, weshalb sie dann
durch Federn jeweils wieder zurückgeholt werden müssen. Da die Mechanik somit
über den Saiten platziert ist, musste auch die Tastatur entsprechend höher gelegt
werden, weshalb der Spieler höher als üblich sitzen muss. Das Instrument wurde,
nachdem es jahrzehntelang nicht mehr spielbar war, im Jahr 2002 von Robert
Brown (Oberndorf a.d. Salzach) aufwendig restauriert, wobei unter anderem der
nicht mehr originale, zu massive Resonanzboden durch einen originalgetreuen
dünneren ersetzt wurde, so dass der Flügel nun zu besonderen Gelegenheiten
wieder erklingen kann.
Zum Instrument
Die Erbauerin des Instruments, Nanette Streicher, war 1769 in Augsburg als
Tochter des renommierten Klavier- und Orgelbauers Johann Andreas Stein
geboren worden, trat schon als Kind als bewunderte Pianistin auf und begann
als Zehnjährige ihre Ausbildung zur Klavierbauerin. Nach dem Tod ihres Vaters
übernahm sie dessen Betrieb. 1794 heiratete sie den Pianisten und Komponisten
Johann Andreas Streicher und zog mit ihm nach Wien, wo sie ihre Werkstatt
schnell als eine der führenden Wiener Klavierbau-Firmen etablierte, mit einer
Jahresproduktion von bis zu 100 Instrumenten. Sie leitete dabei nicht nur, später
unterstützt durch ihren Sohn Johann Baptist Streicher, die Geschäfte – was für
eine Frau ungewöhnlich genug war –, sondern war auch handwerklich tätig;
insbesondere leistete sie jeweils die für den Klang entscheidende mechanische
und intonatorische Feinarbeit.
Mit Ludwig van Beethoven verband Nanette Streicher eine besondere Beziehung.
Ab 1813 brachte sie Ordnung in dessen ziemlich chaotischen Haushalt und galt als
Beethovens „Oberhofmeisterin“. Beethoven schätzte seinerseits die Streicherschen
Klaviere außerordentlich. In der Firma Nanette Streichers wird er auch noch nach
seiner Ertaubung ein- und ausgegangen sein, und sicherlich hat er auch ab 1823 die
neue oberschlägige Patent-Mechanik interessiert geprüft – womöglich sogar (wie
wir uns zumindest einbilden können) auf unserem heute Abend erklingenden
Instrument. Dessen Klang noch in all seinen Feinheiten und Farben zu hören,
war dem Komponisten freilich nicht mehr möglich. Wir aber können auf diesem
Instrument Beethovens Musik in der Klanggestalt hören, für die sie gedacht war.
Hartmut Schick