Institut für Musikwissenschaft
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Forschungsprojekte

Promotionsprojekt „Lyrische Theorie. Transformation und Übertragung in poetischen und musikalischen Prozessen – Stéphane Mallarmé, Pierre Boulez, Gilles Deleuze“

Mein Promotionsprojekt nimmt sich zum Ziel, die vieldiskutierte, jedoch oft unzureichend behandelte Fragestellung nach dem Verhältnis von Musik und Sprache neu aufzurollen. Durch eine Öffnung hin zur Literaturtheorie soll die Thematik fruchtbar für ein neues Nachdenken über Gestalt und Relevanz jener Prozesse gemacht werden, die durch eine Übertragung bestimmter Denkstrukturen von der Sprache in die Musik und von der Musik in die Sprache entstehen. Den Ausgangspunkt bildet der französische Dichter Stéphane Mallarmé, dessen Schriften sich durch Grenzgänge der Dichtung und eine radikale Wandlung von Schrift, Form und Bedeutung auszeichnen. Noch heute, über 100 Jahre nach seinem Tod, zeigt sich in den zahlreichen Versuchen nachfolgender Dichter, Musiker und Philosophen, durch „Mallarmés Erfahrung“ (Maurice Blanchot) hindurchzugehen, wie ergiebig seine Schriften für Reflexionen über die Sprache sind und wie umfangreich das Material bleibt, das sie bieten. Denn Mallarmé erkennt nicht nur einen gemeinsamen Ursprung von Sprache und Musik an, er bestimmt ihn in der Poesie: „Je fais de la Musique, et appelle ainsi […] l’au-delà magiquement produit par certaines dispositions de la parole“.
Hiervon ausgehend soll im Rahmen meiner Promotion herausgearbeitet werden, inwiefern das Verhältnis von Literatur und Musik als Übertragungsprozess verschiedener Denkweisen verstanden werden kann, die in ihrer jeweiligen Transformation ausschlaggebend für das Entstehen neuer Entwicklungen sind. Zunächst möchte ich das intermediale Weiterdenken Mallarmés im Werk des französischen Komponisten Pierre Boulez (1925–2016), der die Poetik Mallarmés insbesondere ab den 1950er Jahren in seinen Bemühungen, eine neue musikalische Poesie zu entwickeln, sowohl in seinen theoretischen Schriften als auch in seinen Kompositionen rezipierte, untersuchen. Als Anknüpfungspunkte seien exemplarisch die Fortschritte in der seriellen Musik mit den Bemühungen, dem Zufall formgebende Eigenschaften zu verleihen, Hinwendungen zur graphischen Notation oder die neu entworfene Rolle des Interpreten genannt. Zusätzlich möchte ich noch einen Schritt weitergehen und erforschen, in welchen Dimensionen diese Gedankentransformation wiederum den Ausgangspunkt für Gilles Deleuze (1925–1995) und Pierre-Félix Guattari (1930–1992) und deren Theorien des glatten und gekerbten Raums sowie des Rhizoms als Wissensorganisation bildete.
Anhand dieser Beispiele, die im Laufe der Arbeit durch weitere ergänzt werden sollen, lässt sich ein Übertragungsverhältnis aufzeigen, das grundlegende Fragestellungen zum Zusammenspiel von Poesie, Musik und (Literatur-)Theorie im 20. Jahrhundert eröffnet. Die angestrebte Untersuchung mimetischer Prozesse in ihren unterschiedlichen Gestaltungen zwischen Dichtung, Musik und Theorie zielt nicht nur auf ein besseres Verständnis einzelner historischer Beispiele ab, sondern wirft auch die Frage nach Mimesis als Methode in Musik- und Literaturwissenschaft auf.