Institut für Musikwissenschaft
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Lieder einer Autodidaktin (SZ am 18. Juni 2009)

Lieder einer Autodidaktin

Wiederentdeckt: die Münchner Komponistin Josephine Lang

Dass Felix Mendelssohn Bartholdy bei seinen Aufenthalten in München 1830 und 1831 an den Münchnerinnen kein Interesse gehabt hätte, kann nicht behauptet werden. Er verkehrte im Haus des Malers Joseph Karl Stieler – und der kannte sich aus mit den Frauen der Residenzstadt, immerhin hatte er die 36 schönsten für König Ludwigs Schönheitengalerie gemalt. So verliebte sich Mendelssohn auch prompt in eine Pianistin, die er sogar zu heiraten beabsichtigte, ein Vorhaben, das er allerdings nicht ausführte.

Nachhaltiger als der Reiz dieser Dame wirkte auf Mendelssohn die Kunst einer anderen Münchnerin, denn weit dauerhafter sollte Mendelssohns Freundschaft mit der Komponistin Josephine Caroline Lang (1815-1880) werden. Eine Münchner Komponistin? In der Tat: Die damals erst 15-jährige Josephine, Tochter des Hofmusikers Theobald und der Sopranistin Regina Lang, war bereits eine versierte Pianistin und hatte sich autodidaktisch einen offenbar bewundernswert fundierten Kompositionsstil angeeignet. Sie trug Mendelssohn einige Lieder vor – und der war „hin und weg“, erzählt Hartmut Schick, Professor für Musikwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität. Der Komponist entschloss sich, Lang kostenlosen Kompositionsunterricht zu erteilen. Kein Wunder, dass Schick ihren frühen Liedern eine stilistische Nähe zu Mendelssohn attestieren muss. Doch mehr und mehr entwickelte Lang eine vom Vorbild gelöste Tonsprache: „Ihre Lieder sind deklamatorischer, harmonisch reichhaltiger und haben wunderbare Überraschungsmomente“, erklärt Schick; später könne man auch Robert Schumann als Vorbild erkennen. Damit sei Lang eine der interessantesten Liederkomponistinnen, auf gleicher Stufe mit einer Fanny Mendelssohn-Hensel.

Doch es war ihr trotz rund 150 Werken nicht gegönnt, eine der fortdauernd berühmten Künstlerinnen zu werden, den Status einer Clara Schumann zu erreichen und spätere Geldscheine zu zieren. Wie so viele Frauen war auch sie, die mit dem Tübinger Dichterjuristen Christian Reinhold Köstlin verheiratet war, in ihrer Rolle in der bürgerlichen Familie gefangen, und ihre Bekanntheit sollte das 19. Jahrhundert nicht überdauern. Dem soll das heutige Sommerkonzert des Münchner Instituts für Musikwissenschaft in der Großen Aula der Ludwig-Maximilians-Universität ein Stück weit entgegenwirken. Angeregt durch Studien aus Nordamerika und eigene Forschungen zu Josephine Lang, sieht Schick anlässlich des 200. Geburtsjahres Mendelssohns hier die Gelegenheit, eine fast vergessene Künstlerin wieder ins Gedächtnis zu rufen. Dieses Konzert verspricht eine spannende Begegnung mit Münchens Musikgeschichte, für die in Christine Müller (Mezzosopran), Anthony Spiri (Klavier), Annegret Müller und Georg Blüml (Rezitation) renommierte Künstler gewonnen wurden (Beginn 20 Uhr, Eintritt frei).

Andreas Pernpeintner