Institut für Musikwissenschaft
print


Navigationspfad


Inhaltsbereich

Bewegende Wissenschaft (SZ vom 9. Mai 2009)

Steve Reich zu Gast bei der Konferenz „crosscurrents“

Süddeutsche Zeitung vom 9./10. Mai 2009

Natürlich ist der Fachanspruch der seit Donnerstag stattfindenden Musik-Konferenz „crosscurrents“ der Ludwig-Maximilians-Universität und der Harvard University enorm. Immerhin gehe es, wie der Musikwissenschaftsprofessor Wolfgang Rathert erklärt, darum, den musikalischen Austausch zwischen Nordamerika und Europa in seiner Komplexität zu erörtern. Die Eröffnungsveranstaltung in der Aula aber entsagt jeglicher Verwissenschaftlichung, sie ist auf erstaunliche Weise emotional begreifbar Maßgeblich dafür ist der launige, sich nicht um musikwissenschaftliche Konventionen scherende Eröffnungsvortrag des Münchner Amerikanisten Berndt Ostendorf, der die kulturpolitische Dimension des Jazz' in einen erfrischenden Erfahrungsbericht bettet, gerne John Coltrane heranzieht, Oscar-Peterson-Aufnahmen vorspielt, den Beat auf dem Rednerpult mittrommelnd, und, ungestraft, Adornos Jazzkritik glatt entkräftet.

Besonders eindrucksvoll ist das Gespräch zwischen Paul Hillier, Mitbegründer des Hilliard-Ensembles, und dem Komponisten Steve Reich, Leitfigur der Neuen Musik. Ersitzt lässig, die Baseballmütze tief im Gesicht, auf dem Podium, erzählt von seinen Inspirationsquellen wie Strawinsky und Bartók, erklärt die Entstehungsprozesse seiner diffizilen Klangkollagen und, mit wundervoll knorriger Präzision, den sinnvollen wie sinnlosen Einsatz technischer Gerätschaften: „Wozu ein Synthesizer, der wie eine Geige klingt? Nehme ich eben eine Geige“

Im Vordergrund aber steht sein Verhältnis zur menschlichen Stimme, dem beim abendlichen Konzert - neben einer präzisen Darbietung von Bartóks kantigem Streichquartett Nr. 6 und einer äußerst plastischen Interpretation von Erich Wolfgang Korngolds feingliedrigem Streichquartett Nr. 3 op. 32 - das Chiara String Quartet und Reich am Mischpult eindrucksvoll nachspüren: Reich sampelte für sein Werk „Different Trains“ Erzählungen von Holocaustüberlebenden und Zeitzeugen, machte die Sprachmelodie zur Basis zugleich vokal und instrumental geprägter Klangbilder. Hier entsteht ein bewegender Vortrag einer Musik, die ihren Kontext zu etwas fundamental Werkimmanentem erhebt. Und so wird eines besonders deutlich: Diese Konferenz vereint die Authentizität des Erlebnisses mit der analytischen wissenschaftlichen Einsicht. Das ist in der Tat Ausdruck einer in ihrer Ausgewogenheit gelungenen Konzeption (Noch am Samstag können von zehn Uhr an bei freiem Eintritt im Amerikahaus, Karolinenplatz 3, die Konferenz-Sitzungen und um 18 Uhr das Abschlusskonzertbesucht werden.)

Andreas Pernpeintner