Institut für Musikwissenschaft
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Charisma (FAZ vom 14. November 2007)

Thrasybulos Georgiades

Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14. November 2007

Fast zur gleichen Zeit, als Adornos „Philosophie der neuen Musik“ erschien, übernahm den Lehrstuhl für Musikwissenschaft in München ein Grieche, dessen Buch „Musik und Sprache“ ganz andere Wege wies. Thrasybulos Georgiades, 1907 in Athen geboren, 1935 in München promoviert, war seit 1949 in Heidelberg tätig. Als er 1954 einen Vortrag über Mozarts Jupiter-Sinfonie in Frankfurt hielt, war Adorno unter seinen Zuhörern. Georgiades betonte darin das „Festliche, zugleich Verpflichtende“ dieser Musik und intonierte damit seine lebenslange Beschäftigung mit den Wiener Klassikern als Höhepunkt abendländischer Musikgeschichte. Adorno war, wie es ein Brief an Georgiades belegt, interessiert am „Festlichen“, das er in seinem damals in Arbeit befindlichen Beethoven-Buch als „Auflehnung Beethovens gegen das Affirmative und das Sein Bejahende“ deutete, der Komponist müsse „das Unwahre im höchsten Anspruch der klassizistischen Musik gefühlt haben“.

An diese Begegnung zwischen Georgiades und Adorno erinnerte bei einem Münchner Symposion zum hundertsten Geburtstag von Georgiades Andreas Haug (Erlangen) in einer Gegenüberstellung der beiden Fremdlinge der Adenauerzeit. Sie blieben sich auch persönlich fremd, und während Adornos Philosophie Schule machte, blieb die Münchner Schule exotisch, denn sie entsprach weder dem Zeitgeist noch den Deutungstraditionen des Faches. Ihr Kern ist das fundamentale Verhältnis von Rhythmus und Sprache, mit dem Thrasybulos Georgiades die Musikgeschichte neu beleuchtete. Während die antike Musik als untrennbare Einheit von Sprache und Klang durch die starre Quantitätsrhythmik des Altgriechischen geprägt ist, trennen sich später die Ebenen, bis in der Wiener Klassik das musikalische Geschehen gegenüber dem „leeren Taktmetrum“ ganz neue Möglichkeiten quasi sprachlicher Artikulation eröffnet.

Schlaglichter auf diese Prozesse warfen Frieder Zaminer (Berlin) und für das Mittelalter Theodor Göllner (München und Santa Barbara), während Reinhold Schlötterer (München) die „musikalische Heimat' von Georgiades aus der neugriechischen Volksmusik erschloss. Von solchen Möglichkeiten machte auch das deutsche Lied Gebrauch. Wie sich dort Lyrik und Musik nicht in harmonischer Koexistenz begegnen, sondern eher in einem agonalen Verhältnis zueinander stehen, das bis zur Destruktion der Dichtung durch die musikalische Faktur gehen kann, das zeigten auf eindrucksvolle Weise Manfred Hermann Schmid (Tübingen) und Hans-Joachim Hinrichsen (Zürich) bei Schubert, dem Georgiades ein gewichtiges Buch gewidmet hat. Die Auswirkungen auf Musiktheater und Instrumentalmusik der Klassik, die der gelernte Bauingenieur Georgiades mit der Dialektik zwischen dem „Gerüstbau“ des Satzhintergrundes und der melodischen Ausgestaltung des Vordergrundes beschreibt und die in einem „diskontinuierlichen Satz“ resultiert, untersuchte Wolfgang Osthoff (Würzburg).

Anders als der kontinuierliche Satz der Generalbasszeit erlaubt der diskontinuierliche Satz die Reihung heterogener Melodieglieder im Taktmetrum und spiegelt damit eine dramatische Theaterhaltung, die nicht mehr ohne organisierenden Dirigenten auskommt. Aber gleichzeitig ersteht eine einzigartige musikalische Sprache des ereignishaften Hier und Jetzt mit der Epiphanie des Menschen als autonom agierendem Subjekt wie im deutschen Idealismus. So wird eine sinnliche Präsenzkultur geschaffen, wie sie Heideggers „Unverborgenheit“ meint. Das Festliche beansprucht als Phänomen des „Es ist“ einen Raum, der weder mit dem spekulativen Instrument uferloser Dechiffrierung noch mit der Puzzlearbeit des „close reading“ erschlossen werden kann. Diese Lehre polarisierte seinerzeit die Musikwissenschaft wie auch die philosophischen Lager um die Frankfurter Schule und die Heidegger-Gadamer-Schule.

Der Doyen des Faches, Ludwig Finscher (Wolfenbüttel), machte dagegen die historischen Kontexte stark, indem er auf die Wurzeln dieser Musiksprache in der Figurenlehre der musikalischen Rhetorik verwies. Die semantischen Mittel, die er namhaft machte, waren allesamt schon in der Instrumentalmusik der Bach-Zeit und Vorklassik vorhanden, doch die Klassik verfügte für diese Aufgabe über die besseren Komponisten. Auch der Gastgeber, Hartmut Schick (München), erinnerte an markante Beispiele von diskontinuierlichem Satz in der Madrigalkunst des sechzehnten Jahrhunderts, während Hinrichsen auf dekonstruktivistische Modelle bei Liedern nach Schubert verwies. Eine Versöhnung offerierte Rudolf Flotzinger (Graz) mit dem Kompliment der Anschaulichkeit, das er Georgiades machte. Einig war man sich über die nachhaltige Wirkung dieses deutschen Griechen, dessen Charisma im München der sechziger Jahre dem eines Hans Sedlmayr oder Romano Guardini nicht nachstand.

KLAUS PETER RICHTER