Institut für Musikwissenschaft
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Aphrodisiakum für Klassikliebhaber (SZ vom 13. Juni 2007)

Zum 100. des Musikhistorikers Thrasybulos Georgiades

Süddeutsche Zeitung vom 13. Juni 2007

Es gab eine Zeit, da glänzte München noch mit echten intellektuellen Highlights seiner Uni. Nicht bei Informatik, Jura oder BWL, sondern in den altmodischen Geisteswissenschaften. Man unternahm Wallfahrten zum Kunsthistoriker Hans Sedlmayr oder zum Theologen Romano Guardini, um sich vom Charisma äußergewöhnlicher Gelehrter erotisieren zu lassen. Ein anderer Stern war der Musikhistoriker Thrasybulos Georgiades, weniger bekannt ob seines Orchideenfaches, aber kaum weniger begehrt. Wer nicht eine halbe Stunde vor der traditionellen Donnerstagsvorlesung da war, fand keinen Platz im überfüllten Hörsaal. Dort harrten nicht nur die Studiosi, sondern die Wissbegierigen der Stadt, gestandene Richter, die ihre Verhandlungen so legten, dass sie keine Vorlesung versäumten, musikintellektuelle Sucher und elitäre Cembalo- und Theaterspieler, die sich gerne beim Musikantiquar Ricke am St.-Anna-Platz trafen. Atemlose Stille herrschte, wenn der kleine Grieche endlich das Podium betrat und mit herrischer Geste auf eine Partiturseite von Beethoven wies, lieber noch eine von Verdi. Herausfordernd suggestiv schleuderte er ins gebannte Publikum „Was sehen Sie?“ Und jeder ahnte: Unerhörtes würde sich ereignen. Mit der Dramatik eines mediterranen Theatermenschen, der Demagogie eines antiken Rhetors, zugleich aber der Kühle eines messerscharfen Analytikers erweckte er dann die abstrakten Notendiagramme zu Erkenntnisquellen abendländischen Geistes: ein Aphrodisiakum, das höchstens den unberauscht ließ, der unter seiner harten Regie arbeiten musste.

Schon 1930 hatte der Mann aus Athen in München studiert, war dann 1955 Professor in Heidelberg, 1956 in München geworden. Eigentlich war er Hochbauingenieur, weil sein Vater auf einem vernünftigen Beruf bestanden hatte, bevor er schließlich Konservatoriumsdirektor in Athen wurde. Nie versäumte er die Anekdote von dem kleinen, dicken Mädchen, das er gegen das Votum der Jury aufgenommen hatte und das sich später Maria Callas nannte. Sein tief dringender Blick galt vor allem der Verbindung von Musik und Sprache, wie sie als Einheit in der Musik Altgriechenlands verwirklicht ist und wie sie die europäische Musikgeschichte immer wieder neu gestaltet. Besonders wichtig war ihm aber die Musik der Wiener Klassik, wo er grundlegende und bleibende Einsichten zum Bau des musikalischen Satzes formuliert hat. Enge Freundschaften verbänden ihn mit Carl Orff und den Archäologen Ernst Buschor und Emil Kunze. Ein kleiner, aber feiner Schülerkreis wirkte bis zu seinem Nachfolger Theodor Göllner oder Manfred Hermann Schmid (Tübingen).

Zum 100. Geburtstag und 30. Todestag findet heute um 20 Uhr ein Konzert mit Vorträgen im Orff-Zentrum statt. Es musizieren Christoph Hammer, das Duo Mediterraneo, das Vokalensemble Martin Zöbeley, es sprechen Thomas Rösch, Theodor Göllner und Manfred Hermann Schmid.

KLAUS P. RICHTER